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Fotografien verweisen immer auf jenen Zeitpunkt, zu dem der Auslöser gedrückt wurde. Demgemäß wird von einem Foto stets Vergangenheit, Vergangenes repräsentiert.1

In der Arbeit von Günther Brandstetter findet eine unmittelbare Auseinandersetzung mit diesem Wesenszug der Fotografie statt. Indem vergangene Augenblicke festgehalten wurden, wird ein künftiges Gestern antizipiert: „Ich lese gleichzeitig: das wird sein und das ist gewesen; mit Schrecken gewahre ich eine vollendete Zukunft, deren Einsatz der Tod ist.“2 Seine Arbeit R.I.P. kann mit Fotografien, die von Soldaten der Weltkriege angefertigt wurden, verglichen werden. Noch bevor sie einen Kriegsschauplatz erreichten, wurde bereits an die Möglichkeit gedacht, sie könnten von dort nicht zurückkehren. Es entstanden Erinnerungsfotos für eine künftige Nachwelt, eine visuelle Laudatio auf Lebende, um der Vergänglichkeit zu entrinnen.3

Sind die Bilder aus R.I.P. bloße "Oberflächen"4 oder wird eine Aussage zu den abgebildeten Personen getroffen? Es wäre vermessen, der Hinterfragung des Wesens der Fotografie die Behauptung einer treffsicheren Annäherung an die Psyche der ProtagonistInnen gegenüber zu stellen. Die Bilder aus R.I.P. sind stattdessen bewusste Selbstdarstellungen, Momente für eine Ewigkeit5, auf die sich die abgelichteten Personen vermeintlich vorbereiten, indem sie ein Parte-Bild ganz nach eigenen Vorstellungen anfertigen lassen.

R.I.P kann als Zuspitzung vorangehender fotografischer Arbeiten von Günther Brandstetter verstanden werden. In seinem Oeuvre werden biographische Elemente, die der eigenen Familiengeschichte entnommen sind, mit von Brandstetter angefertigten Bildern in einem Wechsel- und Verwirrspiel zu einem untrennbaren Ganzen vermengt. Was ist Zeit? und: Was ist eine Fotografie? sind jene Fragen, die bei der Betrachtung der Arbeiten von Günther Brandstetter wie ein eiskalter Hauch langsam den Rücken empor kriechen. Der Zeitbezug der Fotografie wird aufgelöst, alles verdichtet sich darauf, was FotografInnen gemeinhin unter einem Zeitpunkt verstehen – jenes Intervall, während dessen Licht auf den Film/Sensor fällt.

Klaus Bock (2009)



1 CASTEL, Robert: Bilder und Phantasiebilder, in: Bourdieu et al (Hrsg.): Eine illegitime Kunst, Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 2006, S. 235-267. Für Roland Barthes ist der Kern der Photografie lediglich das "Es-ist-so-gewesen" (BARTHES, Roland: Die helle Kammer - Bemerkungen zur Photografie, S. 87. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989.).

2 Roland Barthes über ein Bild von Alexander Gardner, das Lewis Payne, der ein Attentat auf den US-Außenminister W.H. Seward vorhatte, in seiner Todeszelle zeigt. BARTHES, Roland: Die helle Kammer - Bemerkungen zur Photografie, S. 106. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989.

3 HAUPERT, Bernhard (1994): Objektiv-hermeneutische Fotoanalyse, am Beispiel von Soldatenfotos aus dem Zweiten Weltkrieg, in: GARZ, Detlef/Klaus Kraimer (Hrsg.): Die Welt als Text. Theorie, Kritik und Praxis der objektiven Hermeneutik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 281-314, zit. nach: GARZ, Detlef/ACKERMANN, Friedhelm (2006): Objektive Hermeneutik , in: AYAß, Ruth/BERGMANN, Jörg (Hrsg.): Qualitative Methoden der Medienforschung. Hamburg: Rowohlt 2006, S. 324-350.

4 So wie Thomas Ruff das vermeintlich für alle Fotografien postuliert.

5 Bei Roland Barthes ist das photografische Bild "das UNVERÄNDERLICHE" (BARTHES, Roland: Die helle Kammer - Bemerkungen zur Photografie, S. 87. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989.).