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Der fotografische Blick entspricht nicht dem alltäglichen Sehen. Fotografien leben im Gegenteil von der Verblüffung, die die Eigenarten dieses Mediums in den BetrachterInnen auslösen.1 Sandra Fockenberger's „Überraschungen“2 bestehen darin, Teile von Architektur zu zeigen, die gewöhnlich im Verborgenen bleiben oder die von den meisten PassantInnen nicht bewusst wahrgenommen werden: Dachböden von Kirchen und Metopen.

Im Zuge der fotografischen Annäherung an die Metopen abstrahiert Sandra Fockenberger diese Elemente der für Wien typischen gründerzeitlichen Architektur, eliminiert sämtliche Tiefen und transformiert auf diesem Weg bauliche Strukturen in die Zweidimensionalität des Bildes. Sie nutzt die Grobheit der Metopen, deren simple Symmetrie, um Architektur in beeindruckende grafische Elemente zu verwandeln.

Sandra Fockenberger's Bilder von Dachböden sind das ästhetische Antonym zu den bunten Metopenbändern. Die in Graustufen gehaltenen Fotografien zeigen Formen, die durch das kontrastreiche Wechselspiel von Licht und Schatten enorme Plastizität erhalten und das Auge der BetrachterInnen in ein undurchdringliches Schwarz führen. Der Dachboden fungiert in ihrer Arbeit als
Metapher für das Vergessene, Verborgene, geduldig auf die Wiederentdeckung Wartende, das Profane hinter dem Heiligen. Sie blickt der Kirche „unter die Soutane“, richtet ihre Kamera auf den praktischen, unansehnlichen Teil einer der Repräsentation von Herrschaft dienenden sakralen Architektur.3 Sandra Fockenberger macht nur kleine Ausschnitte der Dachböden sichtbar, das Licht dringt nicht in alle der zahlreichen Ecken und Winkel. Es sind diese Schatten in ihren Bildern, die der Phantasie der BetrachterInnen ausreichend Raum bieten, um in die Dunkelheit der sakralen Bauten allerlei Unerfreuliches zu projizieren.

Sandra Fockenberger beleuchtet das alltägliche Wien aus einem unerwarteten Blickwinkel und provoziert dadurch eine neue Betrachtungsweise von altbekannter Baukunst. Mit gängiger Architekturfotografie haben ihre Bilder wenig gemein; was sie zeigt und wie sie es zeigt entspricht nicht dem Drang nach Repräsentation, der für die neoklassizistische Architektur der Gründerzeit sowie für Kirchenbauten prägend ist.5 Leopold Bauer schreibt in einer Anwandlung monarchistisch angehauchter Nostalgie: „Und da Werke der Architektur immer auch als Ausdruck der Kraft, die einem Zeitalter innewohnt, angesehen werden können, müssen wir heute mehr als je eine Zeit bewundern, in der die Macht und Größe des damaligen Kaiserreichs sich in erlesenen Prachtbauten der Ringstrasse so augenfällig widerspiegeln.“6 Sandra Fockenberger erlöst uns von diesem
Schein, dem Pathos, zerlegt die Bauten in ihre Einzelteile und konstruiert aus den Versatzstücken eine neue, von oberflächlichem Glanz unbeeinflusste Sichtweise auf das Sakrale und Bürgerliche.
Klaus Bock (2009)

1 Vgl. Barthes, Roland: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photografie. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1989, S. 41f

2 Ebd., S. 42

3 Vgl. Kündiger, Barbara: Fassaden der Macht. Architektur der Herrschenden. E. A. Seemann Verlag: Leipzig 2001, S. 127

4 William Peter Blatty's: Der Exorzist. Die neue Fassung. Director's Cut. Warner Brothers, 1973/2000

5 Vgl. Kündiger, Barbara: Fassaden der Macht. Architektur der Herrschenden. E. A. Seemann Verlag: Leipzig 2001, S. 127

6 Bauer, Leopold: Wie die Ringstrasse entstand, S. 17. In: Die Architektur der Wiener Ringstrasse. 1860-1900. Album Verlag: Wien 2003, S. 16-18